Verviers: Bilder aus einer anderen Welt – Arbeit von Fotografen aus der Region erhält nach Anti-Terror-Aktion neue Aktualität
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Widersprüche: Die findet der Bitburger Fotograf in Verviers – und hält sie im Bild fest. Foto: Stephan Garçon
Bitburg. Ein Fotograf sei immer “auf der Suche nach Widersprüchen”, sagt Stephan Garçon. Der morbide Charakter der Stadt – “das im Niedergang Befindliche” – habe ihn nach Verviers gezogen, eine alte Industriestadt in Ostbelgien. Von Bitburg aus führt die Autobahn direkt hinein, in “eine Stadt im Verfall, in eine völlig autarke Welt, in eine Parallelwelt zu dem, was wir kennen”, sagt Garçon.
An einem Sonntagmorgen im Herbst 2007 macht er sich mit befreundeten Kollegen auf den Weg, die Kamera im Gepäck – mit dabei: Markus Brühl, Stephan Bungarten und Stuart Armour. Sie landen in einem Teil der Stadt, der “fast schon wie ein arabisches Viertel” anmutet.
Wer die typischen Belgier in Verviers sucht, der finde sie auf der anderen Seite des Flusses: Aber dort herrscht an diesem Tag “Totenstille”. Wie auch in einer alten Einkaufsstraße, erzählt Garçon: allesamt einst offenkundig mittelständische Geschäfte, allesamt heute verwaist.
Wo Garçon auch auftaucht, er und seine Freunde fallen auf: “Wir mussten uns schon vorsichtig verhalten”, erzählt er. “Und als wir einmal eine Frau in einer Burka fotografieren wollten, kamen sofort ein Dutzend Männer auf uns zu. Die wollten das nicht.” Auch in einer Eckkneipe, in die sich die Eifeler trauen, werden sie argwöhnisch beäugt: “Aber nach dem ersten Misstrauen waren dort alle sehr gastfreundlich.”
Verviers: Die Fotografen haben nach diesem Tag nicht mit der Stadt abgeschlossen. Ein Jahr später fahren sie noch mal hin. Ihre Fotos zeigen sie außerdem im Rahmen des Kultursommers bei einer Open-Air-Ausstellung im Garten von Burg Dudeldorf. Immer gleich ist das Vorhaben, sagt Garçon: “Wir bewerten mit unseren Bildern nicht, wir dokumentieren.”
Dann planen sie, um neue Fotos den bereits vorhandenen in einer weiteren Ausstellung gegenüberstellen zu können, eine dritte Fahrt – für dieses Jahr: “Die alte Tuchfabrik ist renoviert – da tut sich etwas in der Stadt. Wir wollen unbedingt noch mal hin.” Und dann geht am vergangenen Donnerstagabend die Nachricht von den Schüssen in Verviers um die Welt. “Als wir damals unterwegs waren, konnten wir das natürlich nicht ahnen. Aber in dem Moment dachte ich sofort daran zurück und auch daran, wie schwierig es als Außenstehender ist, einen Fuß in diese Welt zu bekommen: Dort können die natürlich agieren, ohne direkt entdeckt zu werden.”
Garçon will immer noch hinfahren – im Frühjahr: “Nicht mit Angst, aber mit Vorsicht.” Deswegen nimmt er auch seine kleine Reisekamera und nicht die komplette Ausstattung mit. Man gehe dort anders durch die Straßen als in Bitburg. “Behutsamer. Man will kein Eindringling sein.” Nur eine Stadt porträtieren, die anders ist. Aber nicht weit entfernt.
Weitere Informationen unter: www.lichtbildner-kombinat.de
Extra
Verviers ist eine Stadt im Osten Belgiensund aus der Eifel in kürzester Zeit zu erreichen. Einst eine blühende Textilstadt, belegt Verviers heute in der Liste der ärmsten Gemeinden Belgiens den 20. Platz. Etwa 55 700 Menschen leben in der Stadt und mehr als 177 Nationalitäten. eib
Extra
Bei dem Anti-Terror-Einsatz in Verviers am Donnerstag voriger Woche im wallonischen Verviers (der TV berichtete) wurden zwei Verdächtige getötet, nachdem sie das Feuer auf Polizisten eröffnet hatten. Auch in und um Brüssel gab es eine Reihe von Festnahmen unter mutmaßlichen Dschihadisten, die aus dem Syrien-Krieg zurückgekehrt sind. Insgesamt sollen es derzeit 100 in Belgien sein. Bei der Aktion in Verviers fanden die Einsatzkräfte Sturmgewehre, Sprengstoff und Polizeiuniformen. Alles deutet darauf hin, dass die Verdächtigen einen großen Anschlag planten, der sich auch gegen die belgische Polizei richten sollte. eib